23.01.2023
Cranio-Mandibuläre-Dysfunktion (CMD) zeigt sich beispielsweise durch chronische oder zeitweise Kopf-, Rücken- oder Nackenschmerzen.
Chronische Schmerzen scheinen ein typisches Merkmal unserer modernen Zivilisation geworden zu sein. Wer leidet denn nicht zumindest zeitweilig an Kopf-, Rücken- oder Nackenschmerzen, an verspannten Gesichtspartien, sensiblen Zahnhälsen oder gar an Tinnitus? Ein anderes typisches Merkmal unserer heutigen Gesellschaft ist die chronische psychische Anspannung, hervorgerufen durch beruflichen oder familiären Dauerstress. Durch diesen Stress werden nicht nur die klassischen "Zielorgane" Magen oder das Nervensystem in Leidenschaft gezogen, auch die Zähne sind ein Hilfsmittel, um angestaute Anspannung mithilfe der Kaumuskulatur abzuarbeiten. Zudem haben viele Menschen eine nicht ideale Körperhaltung, die wenigsten sind sich dessen aber bewusst.
Wie die hier angeführten Symptome im Zusammenhang stehen, soll im Folgenden ausgeführt werden.
Der Begriff Cranio-Mandibuläre Dysfunktion CMD) leitet sich von Cranium (= Schädel), Mandibula (= Unterkiefer) und Dysfunktion (= Fehlfunktion) ab. Im engeren zahnmedizinischen Sinn wird damit eine Fehlfunktion im Zusammenspiel von Oberkiefer und Unterkiefer, bedingt durch Störungen in der Funktion der Zähne, der Kiefergelenke und der Kiefermuskulatur beschrieben. Eine sehr bekannte Form dieser Fehlfunktion stellt zum Beispiel das Knirschen (Bruxismus) dar.
Andere klassische Symptome der CMD sind Kiefergelenkserkrankungen wie Knacken oder Reiben, Mundöffnungsstörungen und Schmerzen der Kaumuskulatur. Allerdings wissen wir heute, dass das CMD-Krankheitsbild nicht nur auf den Hals- und Schädelbereich zu begrenzen ist. Da wir im Skelett- und Muskelapparat wie ein Mobile aufgebaut sind, muss der ganze Mensch betrachtet werden. Es gilt sowohl sog. aufsteigende Störungen (oft ausgehend von den Fußgewölben über das Becken zur Wirbelsäule und zum Schädel), als auch absteigende Störungen (Hauptursache z.B. im Kiefer/Zahnbereich, beeinflussen abwärts Wirbelsäule und das Becken) zu erkennen.
Die Häufigkeit der klassischen CMD liegt nach neueren Studien bei ca. 10 %. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Legt man aber den erweiterten Begriff der Körperhaltungsfehlfunktionen zugrunde, finden sich 30 - 50 % mehr oder weniger Betroffene.
Alle diese Störungen haben wie auch der oben erwähnte Stress eine gemeinsame Folge: Eine chronische, oft pathologische Erhöhung der Spannung verschiedener Muskelgruppen. Muskeln müssen statische Aufgaben übernehmen, um z.B. das aufrechte Gehen bei einer Hüftverwringung zu ermöglichen. Die Dauerkontraktion der Muskeln bewirkt eine Übersäuerung, Schmerzen treten auf, der erhöhte Tonus kann Nerven ebenso einklemmen (z.B. taube, eingeschlafene Fingerspitzen) wie Bandscheiben aus ihrer Lage verdrängen (Bandscheibenvorfall).
Nicht ganz einfach ist das Erkennen der pathologischen Zusammenhänge im Mund-Kieferbereich. Der Biss beim Menschen ist komplizierter als man glaubt. Die komplex geformten Kauflächen der Zähne müssen beim Kauen und Schlucken punktgenau ineinander gefügt werden. Da die Zähne bekanntlich aus dem härtesten Material bestehen, das es im Körper gibt, bewirken schon relativ kleine Störungen in der Zuordnung empfindliche Störungen der Kaumuskulatur. Der Unterkiefer muss dann ständig so gehalten werden, dass solche Störkontakte in der Okklusion vermieden werden. Die Folge können Verspannungen und Durchblutungsstörungen in der Muskulatur sein und zwar nicht nur in der Kaumuskulatur, sondern auch im Nacken. Die Nackenmuskulatur stabilisiert den Kopf und passt die Kopfhaltung an die Körperhaltung an. Erschwert wird das Krankheitsbild auch dadurch, dass sich der in der Muskulatur erzeugte Schmerz in andere Gebiete übertragen kann, z.B. auf das Gesicht, den Kopf oder auf die Zähne.
Die Behandlung der CMD muss meistens fächerübergreifend erfolgen. Sehr wichtig ist hier eine gute Vernetzung verschiedener spezialisierter Therapeuten. Die Basis der Therapie ist das Auffinden und Behandeln der verschiedenen Störungen im Skelett und Muskelbereich, um damit eine Verminderung der Muskelspannung zu erreichen. Dazu können Manualtherapie (Physiotherapie, Osteopathie, Craniosacraltherapie), reflektorische Fußeinlagen, (Rücken-)Training unter therapeutischer Kontrolle, Akupunktur, Stressreduzierungstherapien (Jakobson, Taj chi, Qi gong, Yoga usw.) oder, wenn nötig, eine optometrische Brille beitragen.
Klinische Untersuchung
Im Mund werden die verschiedenen Anzeichen einer Dysfunktion registriert, z.B. Abrasionen (abgeriebene Zähne), fehlende, gewanderte, herausgewachsene oder gekippte Zähne, Zahnhalsdefekte. Die Beweglichkeit des Unterkiefers wird überprüft, dabei auf Kiefergelenksgeräusche geachtet. Die Kau- und Nackenmuskeln, sowie die Kiefergelenksregion werden auf Schmerzen abgetastet, weitergeleitete, projizierte Schmerzen dabei registriert.Der myozentrische/neuro-muskuläre Ansatz geht von folgender Frage aus:
"Wohin würden die an der Kieferstellung beteiligten Kau- und
Nackenmuskeln den Unterkiefer positionieren, wenn sie entspannt und
unmanipuliert sind und der Patient sich in aufrechter Körperhaltung
befindet?" Ziel soll eine entspannte Bisslage des Unterkiefers sein, bei
der aus der Ruheschwebelage heraus die Zähne beim Kauen und Schlucken
gleichmäßig und ohne Abweichungen getroffen wird.
Dieses Ziel
erreicht man u.a. mit dem Einsatz eines Aqualizers,
Muskeltens-anwendungen, einer zeitaufwendigen Bissnahme im Anschluss an
eine Tensbehandlung und der Herstellung einer entsprechenden
Aufbissschiene.
Manchmal ergibt sich im Anschluss einer erfolgreichen Schienenbehandlung die Notwendigkeit, die gewonnene Kieferlage durch kieferorthopädische oder prothetische Maßnahmen in den Mund fest umzusetzen.